Freihandelsabkommen TTIP, CETA, TiSA - was bedeutet das für uns? 01.12.2014
Freihandelsabkommen TTIP, CETA, TiSA - was bedeutet das für uns?
Info-Veranstaltung in Mellrichstadt am 01.12.2014 - Freihandelsabkommen
Teil 1:
Teil 1 des Berichts beinhaltet im Wesentlichen die Problemstellung, das einleitende Vorwort von Thomas Habermann und Elemente der Diskussion im Anschluss an das Referat von Kerstin Celina (s. Teil 2).
Schwerste Bedenken gegen Freihandelsabkommen
Öffentlichkeit ungenügend informiert
Bericht von Fred Rautenberg, Mellrichstadt
Mellrichstadt. Wie sag ich’s meinem Wähler? Vor dem Problem stehen Politiker oft, wenn sie den Bürgern einen komplizierten Zusammenhang vermitteln sollen. Am 1. Dezember 2014 war es das Thema „Freihandelsabkommen mit den USA“, das in einer überparteilichen Runde erläutert und diskutiert wurde. Die Initiative zu diesem Treffen hatten Landrat Thomas Habermann, die Abgeordnete Kerstin Celina von der Partei „Bündnis 90 – Die Grünen“ und der Bezirksrat Gerhard Müller, ebenfalls von den „Grünen“, ergriffen. Celina hielt ein detailliertes Basisreferat zum Thema (s. den nachfolgenden Beitrag), danach diskutieren die Veranstalter mit den Besuchern intensiv u. a. die Frage, wie man die Öffentlichkeit viel mehr für diese heikle Thematik sensibilisieren könnte. Die Notwendigkeit dafür wurde auch durch den nicht besonders zahlreichen Besuch der Veranstaltung in Mellrichstadts „Raum7“ bestätigt, wie Landrat Habermann etwas enttäuscht feststellte.
Vor allem aber ging es um die möglichen Folgen für die Europäische Union und somit auch für uns hier vor Ort – Folgen, die sich aus Freihandelsabschlüssen wie dem geplanten TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) ergeben könnten. Dieses Abkommen strebt den freien Handel zwischen den Vertragspartnern und den Investitionsschutz für tangierte Firmen an. Ähnliche Probleme könnten auch die zurzeit laufenden Verhandlungen für CETA aufwerfen (CETA = Comprehensive Economic and Trade Agreement, auch als „Canada – EU Trade Agreement“ bezeichnet), das ebenfalls freien Handel und Investitionsschutz anstrebt. TISA (Trade in Services Agreement, unter Beteiligung von 23 Parteien, u. a. EU und USA) stellt ein Abkommen über Dienstleistungen auf völkerrechtlicher Basis dar.
Als ein wesentliches Manko kritisierten die im Raum7 anwesenden Politiker die Intransparenz der schon laufenden Verhandlungen. Diese Kritik ging teilweise so weit, dass im Verhalten der Verhandlungspartner eine Bedrohung für die demokratische Rechtsstaatlichkeit und unseres demokratischen Gesellschaftsmodells erkannt wurde.
Landrat Habermann begrüßte zunächst die Anwesenden und teilte mit, dass sich die Idee zu dem Diskussionsabend aus einem Gespräch zwischen ihm und dem Bezirksrat Gerhard Müller ergeben hat. Die beiden Politiker erkannten, dass sie bezüglich der Freihandelsabkommen (FHA) ganz ähnliche Befürchtungen hegen und dass darum einmal eine informative Veranstaltung für die Öffentlichkeit sehr erwünscht wäre. Warum werde das Thema nicht in den Parlamenten, in der Presse, in der Öffentlichkeit in aller Breite diskutiert, wo bleibe der Aufschrei in den Parteien, sagte der auch um das Wohlergehen seines Landkreises besorgte Landrat. Zwar halte er Freihandelszonen grundsätzlich für etwas Begrüßenswertes; aber was bringe TTIP für unsere mittelständischen Industrien, für die Landwirtschaft, wenn wir dabei zusätzlich noch Elemente unseres freiheitlichen Rechtsstaates opfern müssten?
Habermann setzte seine Befürchtungen nach Celinas Referat vertieft fort. Die unterschiedliche Kultur in den USA könnte zu einem kulturellen Verlust bei uns führen, wenn durch die Abkommen amerikanische Einflüsse verstärkt auf uns einwirkten. Die Amerikaner hätten auch kein Verständnis für unsere „kleingärtnerische“ Landwirtschaft, wie sie spotten, die wir aber genau so, statt großindustireller Agrarbetriebe haben wollen. Die Daseinsvorsorge auf kommunaler Ebene darf auf keinen Fall durch die FHA betroffen sein, insistierte der Landrat, ebenso wenig die Lebensmittelerzeugung durch unsere Landwirtschaft. Auch den Schiedsgerichten begegnete der erfahrene Jurist und einstige Richter mit größtem Misstrauen. Er sah, dass durch diese Art der Rechtsprechung den Kommunen, der Politik überhaupt fast jede Einflussmöglichkeit genommen wird. Er forderte darum: Gerichtliche Verfahren müssen öffentlich, das Verfahren muss transparent sein, Rechtsmittel müssen eingelegt werden können und die Prozesse müssen den Grundprinzipen der Verfassung bzw. des Grundgesetzes entsprechen und somit auch ordentliche Gerichte zulassen. Wenn nur die Bereiche Daseinsvorsorge, Landwirtschaft und Ernährung sowie die Schiedsgerichte aus den Verhandlungen herausgenommen würden, könnte man sich mit den FHA eher anfreunden.
Celina war sich mit dem Landrat einig, dass die für die Entscheidung zuständigen EU-Politiker gar nicht die Zeit haben, ein über 1.500 Seiten umfassenden Papier zu den FHA zu lesen. Sie müssten, nolens – volens, den Empfehlungen der Leute folgen, die im Ausschuss für Handel sitzen. Sie ließ die immer wieder zu hörende Ausrede nicht gelten, dass die Verhandlungen ja noch am Laufen seien und dass alles nicht so schlimm werde. Die Landtagsabgeordnete beklagte auch, dass die Positionen der politischen Parteien in Deutschland seit den Wahlen an Eindeutigkeit verloren haben und sich teilweise widersprechen.
Meinungen aus dem Saal formulierten die Bedenken zum Teil noch schärfer. Mit der Preisgabe der Daseinsvorsorge durch die Kommunen und den Staat werde unser Gesellschaftssystem in seinen Grundfesten erschüttert. Bedauert wurde auch, dass nicht einmal die Bundestagsabgeordneten die Zusammenhänge voll durchschauen, wie aber erst der normale Bürger? Sehen die Politiker denn nicht, dass sie dabei sind, sich selbst zu entmachten, klagte eine Diskutantin.
Als Wege zum Abbau des Informationsdefizits wurden z. B. öffentliche Podiumsdiskussionen vorgeschlagen, die Informationen auf allen Ebenen weiterzutragen, besonders aber in den eigenen Verbänden. Und auch über die emotionale Schiene müssten wir die Bürger erreichen, u. a. auch bei aller sachlichen Information schon im Schulunterricht. Der Mitarbeiter von Celina, Gerhard Kraft, teilte seine schlimmen Erfahrungen mit der Lobby im europäischen Parlament mit. Die Abgeordneten würden zu den Kommunikatoren der Lobbyisten degradiert. Das sei demokratiefeindlich und stelle, auf nationale Ebene übertragen, den staatlichen Aufbau in Frage. Er fragte auch, wie weit wir unseren Wohlstand noch steigern wollen. Eine bessere Umwelt wäre auch ein Mehr an Wohlstand; wir „müssen unseren Wertekanon umstellen“, sagte Habermann dazu mit großem Nachdruck.
Markus Groenen als einer der wenigen Vertreter der Mellrichstädter Bürgerschaft wusste aus Erfahrung, dass den Bürgern alle diese Sorgen egal sind, wenn sie nur das Kilo Schweinfleisch auf Grund der FHA zwanzig Cent billiger bekommen. Das Chlorhühnchen sei für den Bauern kein Schreckgespenst. Aus seiner Sicht als Landwirt wisse er nicht, ob er sich über TTIP usw. freuen oder ängstigen soll.
Teil 2:
Teil 2 des Berichts beinhaltet den Basisvortrag von MdL Kerstin Celina.
Kerstin Celina referierte über die Problematik der Freihandelsabkommen bei parteiübergreifendem Treffen im Mellrichstadt
Mellrichstadt. (frr) Meinungsbildung, besonders wenn es um wichtige und weit tragende Probleme geht, verlangen zuvor gründliche Information und Kenntnisse der Sachzusammenhänge. Darum stand am vergangenen Samstag bei dem öffentlichen Treffen von Landrat Thomas Habermann mit Vertretern der Partei „Bündnis 90 – Die Grünen“ und interessierten Bürgern das Grundsatzreferat von MdL Kerstin Celina im Mittelpunkt der Info-Veranstaltung. Es ging um den Abschluss von Freihandelsabkommen besonders zwischen der EU und den USA.
Allen Anwesenden im großen Konferenzzimmer in Mellrichstadts „Raum7“ wurde spätestens mit diesem Referat der Landtagsabgeordneten von den „Grünen“ klar, dass es bei den Freihandels- und Investitionsschutz-Abkommen um eine hoch komplizierte Materie ging. Ziel der drei Abkommen TTIP, CETA und TISA ist nach den Ausführungen von Celina, den internationalen freien Handel zu fördern und Handelshemmnisse abzubauen, Zölle z. B. oder unterschiedliche Standards, etwa bei Verpackungen und Kennzeichnungsvorschriften. Dazu gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder gegenseitige Anerkennung der Unterschiede oder gegenseitige Angleichung.
Abkommen dieser Art seien aber eher für die USA interessant, führte Celina aus, weil der europäische Import in die USA den amerikanischen Import nach Europa deutlich übertrifft (2012: über 86 Prozent mehr!). So darf man sich fragen, ob wir Europäer überhaupt ein Abkommen mit den USA brauchen. Auch ohne ein Abkommen hat sich nämlich der Warenaustausch mit den USA seit 1998 vervielfacht, wie Statistiken beweisen. Befürworter der Freihandelsabkommen (FHA) argumentieren mit hunderttausenden von neuen europäischen Arbeitsplätzen durch die FHA, was aber sehr zu relativieren sei, weil das z. B. für Deutschland nur einen Zuwachs von 0,04 % pro Jahr bedeuten würde. Auch die europäische Wirtschaftskraft würde allenfalls 1 % an Zuwachs im Jahr erfahren.
Die Hauptkritikpunkte an den geplanten FHA sind schwerwiegend: Arbeitnehmerrechte werden beeinträchtigt, die Geheimverhandlungen leiden unter fehlender Transparenz, unsere mühsam errungenen Standards müssten wahrscheinlich abgesenkt werden; den Firmen wird ein Investitionsschutz gewährt, den sie nicht vor regulären Gerichten, sondern vor Schiedsgerichten einklagen könnten, ohne dass die Nationalstaaten noch eine Eingriffsmöglichkeit hätten. Weiter bemängelte Celina die sog. „Ratchet“-Klausel: Was einmal privatisiert worden ist, könnte demnach nicht wieder in öffentliche Verwaltung gelangen. Durch die vorgesehene Liberalisierung der Daseinsvorsorge hätte das Auswirkungen auf alle politischen Ebenen bis hinunter in die Kommunen, besonders im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe. Da die Amerikaner eine andere Denkweise haben und damit an die Dinge mit anderen Voraussetzungen herangehen, könnten wir kaum unsere bisher errungenen Standards verteidigen, geschweige denn noch nach unserem Gutdünken ausbauen.
Die europäische Landwirtschaft wäre ungleich stärker berührt als die amerikanische, weil gerade mal 150.000 US-Landwirtschaftsbetrieben über zwei Millionen in der EU gegenüberstehen. Gentechnisch veränderte Lebensmittel fänden Zugang zum europäischen Markt. Wir in Europa lassen neue Lebensmittel nur dann zu, wenn sie nachgewiesenermaßen unbedenklich für die Gesundheit sind. Die Amerikaner lassen sie ungeprüft zu und nehmen sie erst dann aus dem Markt, wenn sie sich als schädlich herausgestellt haben. In den USA dürfen Nutztiere geklont werden, nicht aber in Europa. Desinfektion von Schlachttieren mit Chlor und Milchsäure sind amerikanische Standards, was in der EU nicht erlaubt ist. Wir dürfen auch Hühner und Schweine nicht in Batterien und Kästen halten, die Amerikanischen Fleischerzeuger aber schon. „Da prallen unterschiedliche Philosophien aufeinander!“, sagte Celina. Der Vorschlag, den Bereich der Landwirtschaft aus den Verträgen herauszunehmen, hat nach dem Willen und der Meinung einflussreicher Leute keine Chance.
So ähnlich wie die Landwirtschaft müssten auch die Verbraucher Einbußen bei ihren gewohnten und sinnvollen Standards hinnehmen, was Celina mit vielen Beispielen belegte (etwa US-Erlaubnis für Stoffe, die bei uns als krebserregend gelten; oder Erlaubnis des Frackings).
Schwere Bedenken wurden auch gegen die Schiedsgerichte von Celina und später auch von Habermann erhoben. Investoren bekämen die Möglichkeit, gegen einen ganzen Staat zu klagen, der Staat umgekehrt gegen einen Investor aber nicht. Irritierend seien auch das geheime Verfahren und die Geheimhaltung der Entscheidungen. Und der Steuerzahler muss immer für die Gerichtskosten und Schadensersatzleistungen gerade stehen. Schiedsgerichte stehen außerhalb der regulären Gerichtsbarkeit, Rechtsmittel gegen ihre Entscheidungen sind nicht möglich. Die Jury besteht nur aus drei Personen, dem Anklagevertreter, dem Verteidiger und dem Schiedsrichter. Dieser eine fällt dann das irreversible Urteil. Celina führte dann einige Beispiel an, wie Schiedsgerichte Streitfälle in Deutschland behandelt haben.
Blieb noch die Frage nach den Leuten, die ihre Zustimmung zu den Verträgen geben müssten. Bei reinen Handelsabkommen sind das der europäische Rat und das EU-Parlament. Nur bei „gemischten“ Abkommen müssen auch die nationalen Parlamente einbezogen werden. CETA wäre ein solches gemischtes Abkommen. Da sollten die Regierungen und Parlamente der Teilnehmerstaaten, auch der Bundesrepublik einschließlich Bundesrat gut überlegen, ob sie das hinnehmen wollen: die Verletzung des im EU-Recht und im Grundgesetz verankerten richterlichen Rechtsprechungsmonopols und die zu erwartenden drastischen Beschränkungen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Celina bezweifelte abschließend auch, dass die zusätzliche Umweltbelastung durch vermehrten CO2-Ausstoß so niedrig sein wird, wie die Befürworter behaupten.
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